Freitag, 23. Dezember 2011

Die politisch-philosophische Bedeutung von Weihnachten

Das Wunder, das den Lauf der Welt und den Gang menschlicher Dinge immer wieder unterbricht und von dem Verderben rettet, das als Keim in ihm sitzt und als "Gesetz" seine Bewegung bestimmt, ist schliesslich die Tatsache der Natalität, das Geborensein, welches die ontologische Voraussetzung dafür ist, dass es so etwas wie Handeln überhaupt geben kann. (Daher liegt die spezifisch politisch-philosophische Bedeutung der Geschichte Jesu, deren religiöse Signifikanz natürlich die Auferstehung von den Toten betrifft, in dem Gewicht, das seiner Geburt und Gebürtlichkeit beigelegt wird (…).)Das "Wunder" besteht darin, dass überhaupt Menschen geboren werden, und mit ihnen der Neuanfang, den sie handelnd verwirklichen können kraft ihres Geborenseins. Nur wo diese Seite des Handelns voll erfahren ist, kann es so etwas geben wie "Glaube und Hoffnung", also jene beiden wesentlichen Merkmale menschlicher Existenz, von denen die Griechen kaum etwas wussten, bei denen Treu und Glauben sehr selten und für den Gang ihrer politischen Angelegenheiten ohne Belang waren und die Hoffnung das Übel aus der Büchse der Pandora, welche die Menschen verblendet. Dass man in der Welt Vertrauen haben kann und dass man für die Welt hoffen darf, ist vielleicht nirgends knapper und schöner ausgedrückt als in den Worten, mit denen die Weihnachtsoratorien "die frohe Botschaft" verkünden: "Uns ist ein Kind geboren."
(AUS: HANNAH ARENDT; VITA ACTIVA)


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